Telegehirn

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Keta im Knie

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Als Kind wurde ich regelmäßig von Mandelentzündungen heimgesucht. Unser Hausarzt empfahl, dass sie entfernt werden sollen, aber meine ostentativ vorgetragene Abneigung gegen einen Krankenhausaufenthalt trug wohl zur Verhinderung dieses Eingriffs bei. Mich konnte auch nicht die Aussicht auf eine Eis Flatrate dazu verleiten. Als Erwachsener wurde ich dann weitgehend von einer Mandelentzündung verschont. Bis auf 2009, als ich innerhalb eines Monats zweimal Opfer einer Tonsillitis wurde. Diese Jahr wurde ich zwischen Ende Juni und Mitte September dreimal von einer einer solchen Entzündung niedergestreckt. Stets nahm ich diszipliniert das mir verschriebene Penicillin bis zum Ende ein. Ich schob das erneute Auftreten dieser lästigen Krankheit stets darauf, dass ich vorher kräftig feiern war. Am 10. September suchte ich wieder meinen Arzt auf, bekam das gewohnte Penicillin verschrieben und es schien mir besser zu gehen. Dann kam der 13. September, ein Tag der alles verändern sollte.

An diesen Tag kann ich mich in keiner Weise erinnern. Retrograde Amnesie, wie die mir ein Arzt im Nachgang erklärte und in Anbetracht der Geschehnisse, die ich nur aufgrund der Aussagen meiner MitbewohnerInnen und der ärztlichen Unterlagen wiedergeben kann, erscheint mir diese Schutzfunktion des Körpers durchaus sehr sinnvoll. An diesem verhängnisvollen Donnerstag kommunizierte ich, dass es mir besser gehen würde und ich machte mir den letzten Pinguin-Tee, den ich am Vortag noch verschmäht hatte. Gegen 17 Uhr erschien ich im Zimmer meiner MitbewohnerIn und zeigte durch Gesten an, dass ich keine Luft mehr bekommen würde und ich versuchte mit meinem Zeigefinger in meinen Hals zu kommen, was aber keinen Erfolg zeigte und so kippte ich rasch um und Til zog geistesgegenwärtig den Finger aus meinem Hals und begann mit der Beatmung, während Christine 112 wählte. Mit großer Anstrengung gelang es Til Luft in meine Lungen zu kommen, aber sie wollte nicht mehr entweichen.

Eine solche Situation wird in keinem Erste Hilfe Kurs gelehrt, aber Til reagierte instinktiv richtig und setzte sich auf meinen Brustkorb und sorgte mit entsprechender Kraft dafür, dass die Luft wieder entweichen konnte. Das wiederholte er, bis der Notarzt eintraf. Die Versuche mich zu intubieren, waren nur mäßig erfolgreich und kosteten mich einige meiner oberen Zähne, was noch die geringsten Folgen darstellen. Dem Notarzt gelang es nicht einen venösen Zugang zu legen und während Til das gespenstische Szenario mit einer Bauleuchte vom Hochbett aus erhellte, griff das Notarzt-Team zum Bohrer und bohrte zwei intraossäre Zugänge, knapp unterhalb der Knie, in die Unterschenkel. Direkt ins Knochenmark. Rechts wurde mir Ketamin gegeben und links Nor-Adrenalin.

Um eine ausreichende Beatmung sicherzustellen wurde ein präklinischer Luftröhrenschnitt vorgenommen, was aber erst einmal nicht verhinderte, dass mein Herz aufhörte zu schlagen und eine Reanimation notwendig wurde. Dabei brach der Notarzt mir vier Rippen, drei links, zwei rechts, prellte einige Rippen arg und brach mir zur Krönung noch das Sternum (Brustbein). Wie mir ein Internist später im Krankenhaus sagte, hätte der Notarzt alles richtig gemacht, wenn er mir die Rippen brach und ich dann noch am Leben wäre. So wurde ich dann ins Benjamin-Franklin-Krankenhaus eingeliefert. Wie sich später herausstellte, war ein sogenannter Tonsillarabszess geplatzt und hatte die Atemwege komplett verlegt. Man versuchte mich zu stabilisieren, damit die betroffene Tonsille entfernt werden kann. Kurz vor der OP kollabierte ein Teil meines linken Lungenflügels, was aber recht schnell wieder stabilisiert werden konnte.

Wie mein Lieblingspfleger später auf der Intensivstation mir erzählte, hätte er in zehn Jahren keine so schlechten Blutwerte gesehen, wie die meinen. Ein Ph-Wert von 6,9, eine Sauerstoffsättigung von 85% und ein Co2 Wert von 220 mm Hg. Es wurde befürchtet. dass ich bleibende Schäden davon tragen würde und nur noch eine Art weichgekochtes Gemüse wäre, aber als am Samstag die Meldung durchdrang, dass vier Personen auf der Intensivstation notwendig waren, um mich ans Bett zu fesseln und zu verhindern, dass ich mir dir Zugänge herausreiße, war klar, dass ich widerständig bin und keine Schäden davon tragen würde. In der Nacht von Sonntag auf Montag kam ich langsam wieder in die Welt zurück und es erschien mir so, als ob ich in einem Gemälde von Hieronymus Bosch erwacht wäre. Unbändiger Durst trieb mich an, aber mir wurde die Befriedigung dieses elementarsten aller Bedürfnisse verweigert. Mir war nicht ganz klar, wo ich mich befinde. Auf der einen Seite wusste ich, dass ich in einem Krankenhaus bin, aber nicht genau warum und unter welchen Umständen, und auf der anderen Seite erschien alles wie ein wattiger Alptraum, aus dem ein Erwachen doch leicht möglich wäre.

Erst als der neue Tag dämmerte, dämmerte auch mir, dass ich voll verkabelt auf der Intensivstation lag. Ein Schlauch durch die Nase versorgte die Magensonde, ein Blasenkatheter sorgte für einen reibungslosen Abfluss und in der rechten Leistengegend sorgten zwei Zugänge, je einer venös und einer arteriell, für die notwendigen Zu- und Abflüsse, denn ich bekam nicht nur Schmerzmittel, sondern auch Antibiotika und Abführmittel und regelmäßig wurde mir Blut abgezapft, um die Werte zu messen. Ich befand mich mit zwei weiteren Personen in einem Zimmer, welches von einer Pflegekraft betreut wurde. Man kann sich sicherlich leicht meine Verwirrtheit verstellen, als mir bewusst wurde, dass es Montag war und mir vier Tage verloren gegangen waren, wie ich aus einer Tageszeitung entnehmen konnte. Noch hing ich an der Beatmungsmaschine und konnte nicht sprechen. Kommunikation war nur schriftlich oder via Lippen lesen möglich, was für einen verbal so kommunikativen Menschen wie mir eine schwere Umstellung bedeutete.

Die Atem-Therapeutin der Intensivstation, die einen sehr norddeutschen Dialekt besaß, spornte mich an, dass ich mich doch mit Hilfe eines passenden Rollators bewegen sollte, denn ich hätte schon vier Tage gelegen und sollte meine Muskulatur wieder in Schwung bringen. Ebenso meine Atmung. So kroch ich mit einem riesigen Rollator und einem besorgten Pfleger mit einem Sessel im Schlepptau über den Flur der Intensivstation und sagte mir bei jedem Schritt: Einen Schritt für Rosa, einen für einen Erich, einen für Karl. Was man eben so macht, um sich zu motivieren. Am Ende des Flurs konnte ich auf den Teltowkanal und die herrlich drein scheinende Sonne blicken, während der Pfleger die Balkontür einen Spalt öffnete und die frische Morgenluft über mein Gesicht strich, wurde mir das erste Mal klar, wie viel Glück ich gehabt hatte, dass ich noch am Leben war. Obwohl ich bisher nur im Ansatz wusste, was mir passiert war und welche Komplikationen es gab.

Im Laufe des Tage besuchten mich die Miwos, brachten mir mein Telefon, damit ich mich wieder mit der Welt verbinden konnte und ein paar Sachen zum Anziehen, denn der Notarzt hatte meine Lieblingsschlafhose und meine Lieblingsschlafjacke samt T-Shirt zerschnitten und mich quasi nackt eingeliefert. Ein Vorteil hatte der das viertägige Koma auf jeden Fall: Ich hatte keinen körperlichen Drang mehr zu Rauchen und ich habe das bis heute, fast vier Wochen später, durchgehalten. Ab und zu schwirrt das Verlangen mir jetzt eine anzustecken durch den Kopf. Vor allem nach dem Essen oder zum morgendlichen Kaffee steigt dieses Bedürfnis in meinem Kopf empor, aber ich bin mehr als zuversichtlich, dass ich das Nichtrauchen durchhalten werde.

Auf der Intensivstation gab es an einem Abend noch einen für mich kritischen Moment. Durch das Tracheostoma wurde mehrmals am Tag Sekret abgesaugt und am Mittwochabend merkte ich, wie sich nach dem Absaugen etwas am unteren Ende des Tracheostoma etwas festsaugte, was mir das Atmen unmöglich machte. Ich geriet etwas in Panik und zwei PlegerInnen und ein Arzt waren sofort zur Stelle und versuchten das Problem zu finden und die Situation zu beheben. Mit etwas Propofol wurde ich kurzfristig ins Land der Träume geschickt und als ich wieder erwachte konnte ich immer noch nicht atmen und meine Lieblingspflegerin hielt mir die rechte Hand, während ein sehr sympathischer Pfleger meine linke Hand hielt und ich konnte ich in die besorgten Gesichter sehen, während mich eine weitere Ladung Propofol ins traumlose Land des Schlafes schickte. Als ich erwachte, fühlte ich mich wie der gekreuzigt und schwebend. Ich hörte die Stimmen der Pflegenden und des Arztes, die sich darüber unterhielten, wie der Schleimpfropfen aus meinem Hals flog. Als zu trockene Luft hatte wohl die jahrelangen, durch das Rauchen bedingten granulatartigen Sekretablagerungen verfestigt. Am nächsten Tag wurde beim Absaugen ein weiterer Pfropfen, allerdings etwas kleiner entfernt. All das bestärkt mich in meinem Entschluss das öde Leben eines Nichtrauchers zu bestreiten.

Am Donnerstag wurde mir die Magensonde entfernt und ich hätte sie mir sogar selbst ziehen können, was wohl nach Auskunft der Pflegenden bei Patienten sehr beliebt sein. Ich zog es dann doch vor, mir das ziehen zulassen. Meine Lieblingspflegerin fragte mich, ob ich mich der Pizzabestellung des Personals anschließen möchte und ich sagte sehr gerne ja und es war die leckerste vegetarische Pizza, die ich jemals essen durfte. Nach acht Tagen Intensivstation wollte ich auf die Normalstation verlegt werden, was auch an einer wenig empathischen Pflegerin lag, die in der Nacht von Donnerstag auf Freitag ihren Dienst antrat. Eine Person, die meiner Ansicht nach menschlich völlig ungeeignet für die Stelle als Intensivpflegerin ist. Der Chefarzt der Intensiv stellte es mir frei, ob ich auf die normale HNO-Station wechseln will: „Aber da werden Sie nicht so gepampert wie hier.“ So genau wusste ich nicht, was damit gemeint war, aber ich wollte früher als später wieder nach Hause. Der arterielle Zugang wurde relativ blutig entfernt und der Blasenkatheter wurde mit Schwung gezogen.

Auf der HNO-Station wurde noch einmal mit einer Sonde durch die Nase die Stelle untersucht, an der sich die entfernte Tonsille befand, dann wurde mir das Tracheostoma entfernt, was etwas schmerzhaft war, denn der Rahmen an dem es befestigt war, wurde an zwei Stellen getackert und die Entfernung der Haken war sehr schmerzhaft. Das Tracheostoma habe ich als Souvenir behalten dürfen. Als die Schmerzmittel der Intensivstation auf der HNO-Station nicht mehr so wirkten, machten sich die gebrochenen Rippen und das gebrochene Sternum bemerkbar. Als passionierte Seitenschläferin, war mir ein solches Schlafen unmöglich, denn links waren drei Rippen gebrochen und rechts nervte der ZVK enorm. In der ersten Nacht versuchte ich mich auf die Seite zu drehen, aber es knackte einige Mal in meinem Brustkorb, was mich wieder in Rückenlage brachte.

Schlafen war nur in aufrechter Rückenlage möglich und ich war relativ dankbar, dass ich ein halbwegs wirksames Schmerzmittel bekam. mit dem ich über die Nacht kam. Nach fünf Tagen auf der HNO-Station wurde ich langsam quengelig und ungeduldig, denn das Lungentraining sollte erst beginnen, wenn per Echokardiogramm abgeklärt wäre, ob Knochensplitter ihr Unwesen im Brustraum treiben oder nicht. Das wurde aber erst für die folgende Woche terminiert und ich solange konnte und wollte ich nicht warten und so wurde ich am Mittwoch, dem 26, nach fast zwei Wochen, aus dem Krankenhaus entlassen. Das Echokardiogramm lief gut und trainiere jeden Tag meine Lungenfunktion, auch wenn mir noch etwas bange ist, wir ich ohne das Loch in meiner Luftröhre, welches jeden Tag ein Stück mehr zuwächst, ordentlich durchatmen soll. Dank Tramadol kann ich nun auch weitgehend durchschlafen.

Was mich etwas wütend und auch arm macht, ist der Umstand, dass die Krankenkasse nicht für Verbandsmaterial bezahlt, was ich täglich brauche, um den Luftröhrenschnitt zu versorgen. Ich habe es zweimal bei meinem Hausarzt machen lassen, was jetzt nicht so schlecht verlieft, aber nicht so optimal, wie bei meinem heldenhaften Mitbewohner, der mir das Leben rettete. Ich könnte natürlich auch jeden Tag in die HNO-Ambulanz des Benjamin-Franklin-Krankenhauses fahren und mich da ein paar Stunden vergnügen, während ich auf einen neuen Verband warte. In Anbetracht der enormen Kosten, die ein Tag Intensivstation kosten, erscheint der Geiz der Krankenkasse in Bezug auf Verbandsmaterial geradezu grotesk peinlich. Ob die Krankenkasse mich auf eine Kur schickt, erscheint auch mehr als zweifelhaft, aber Hauptsache Yoga und Homöopathie bezahlen. Elend und dergleichen.

Das Loch in meiner Luftröhre wird in ein, zwei Wochen zugewachsen sein und in sechs bis acht Wochen sollten meine Rippenfrakturen ebenfalls geheilt sein und dann werde ich mich der Wiederherstellung meiner Beißkraft widmen können. Alles in allem habe ich wohl einige meiner neun Leben verbraucht und kann heilfroh sein, dass ich noch am Leben bin. Das verdanke ich meinen heldenhaft agierenden MitbewohnerInnen, einem kompetenten Notarzt, dem Schockraum- und dem Intensivstation-Team im Benjamin-Franklin, sowie meiner Konstitution und meinem Lebenswillen. Ich habe noch einiges vor und das werde ich nicht nur in Angriff nehmen, sondern auch erledigen.

Wer von euch ein paar Euro übrig hat, kann und darf gerne etwas spenden. Wer kein PayPal nutzt, kann auch per Mail (telegehirn(at)gmail.com) Kontakt mit mir aufnehmen. 😉

Autor: telegehirn

Tot gesagt, wirklich tot gewesen, aber nicht tot zu bekommen.

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